FSV2000
Dienstag - Mai - 15.05.2001 - 21:00 Uhr
7-Stunden-Segelflug mit dem Twin-Astir
Der Segelflugbetrieb beginnt am Samstag, den 12.5.2001 wie üblich: Um ca. 9:00 treffen die ersten Segelflieger ein und der Windsack steht prall gefüllt genau quer zur Pistenrichtung. Der Wind kommt jedoch nicht wie sonst üblich aus Süden sondern zur Abwechslung mal genau aus Norden mit 15-20kt. Am Himmel sind einige Lentis zu sehen und ab ca. 10:00 beginnen sich in einiger Entfernung die ersten Quellwolken aufzubauen. Unser Segelflug-Guru Fritz Janach, der seit einiger Zeit auch als Wetterprophet tätig ist, meint, dass der Tag trotz des kräftigen Nordwindes ganz gut werden könnte.
Fritz und Rudi Frenslich bereiten ihre eigenen Segelflugzeuge für einen Streckenflug nach Deutschland vor und wir anderen sind skeptisch, ob für uns bei diesen Windverhältnissen das Starten überhaupt gefahrlos möglich ist. Ich helfe den beiden Streckenfliegern beim Starten und als Rudi einige Meter nach dem Anrollen den Start abbricht und das Schleppseil ausklinkt, bin ich mir sicher, dass dieser Seitenwind für mich zu stark ist.
Wir räumen dann aber doch den Twin-Astir und die Einsitzer aus dem Hangar und hoffen dass der Wind nachlässt oder zumindest etwas in die Pistenrichtung dreht. Mittlerweile haben sich auch im Platzbereich die ersten Cumulus-Wolken aufgebaut und der Wind scheint tatsächlich etwas nachzulassen.
Um ca. 11:00 beschließen Christian Vohryzka und ich, dass wir mit dem Twin-Astir starten werden. Unser Ziel ist, an diesem Tag im Platzbereich möglichst lange oben zu bleiben, da bei diesen Windverhältnissen das Schulen mit dem Segelflugzeug ohnehin nicht möglich ist. Wir checken den Flieger, bereiten uns selbst vor (Getränke, Sonnencreme, Sonnenhut, Pinkeln usw.) und richten uns im Flugzeug möglichst bequem ein.
Als wir über Funk die Schleppmaschine anfordern, müssen wir mit Entsetzen feststellen, dass kein Schlepp-Pilot verfügbar ist. Rudi und Fritz sind auf Strecke, Müller, Bachmeier und Vogel sind mit den Falken nach Nötsch unterwegs und Gockert ist Betriebsleiter. Nach ca. 30 Minuten dürfte Wolfgang jemanden gefunden haben, der den Betriebsleiter übernommen hat, da er selbst mit der Schleppmaschine zum Aufstellplatz kommt.
Der Start um 11:55 lokal ist nicht ganz so schlimm, wie ich befürchtet habe und schon nach kurzer Zeit kreist der Schleppzug im ersten Bart. Nach dem Ausklinken in 1000m steigen wir noch etwas weiter und fliegen dann zur nächsten Wolke. Es gelingt mir aber nicht, den Bart zu zentrieren und recht schnell sind einige hundert Höhenmeter verloren. Enttäuscht fliegen wir zum Flugplatz zurück und ich bereite mich innerlich schon auf die Landung bei diesem Seitenwind vor. In 350m Höhe finden wir aber wieder einen Aufwind und ich steige wieder bis auf 1200m. Der Frust wegen der drohenden Landung ist sofort wieder weg und ich bin recht zufrieden mit mir, da ich als Segelfluganfänger (ca. 10 Stunden auf den Twin-Astir, F-Schlepp-Berechtigung erst seit 2 Wochen) 800m Höhengewinn geschafft habe. Dieser „Hausbart“ zwischen den südlichen Windrädern und dem Industriegebiet von Stockerau wird den ganzen Tag über zuverlässiges Steigen bieten und uns mehrmals vor dem Landen rettet.
Die nächsten Stunden laufen ganz ähnlich ab. Steigen bis auf ca. 1200m über Grund, dann die nächste Wolke anfliegen und in ca. 500-700m wieder in den nächsten Bart einsteigen. Das Fliegen zu dieser Zeit ist für mich nicht ganz einfach, da die Bärte vom starken Nordwind (30-40km/h) stark zerrissen werden und deswegen nicht einfach zu zentrieren sind. Aber unser Hausbart lässt uns nie im Stich, wenn wir öfters recht tief zum Platz zurückkommen.
Nach ungefähr 2 Stunden überlasse ich Christian das Steuern und genieße die herrliche Aussicht. Wir werden uns auch bis zur Landung nach jeweils 30–40 Minuten mit dem Fliegen abwechseln. Am Funk hören wir dass Rudi Frenslich irgendwo in Oberösterreich den Boden poliert und er klingt nicht sehr zuversichtlich, dass er heute noch mit dem Flieger nach Stockerau zurückkommt. Von Fritz Janach hören wir, dass er von Oberösterreich in die Alpen fliegen möchte.
Die Basis steigt an diesem Tag bis zum Abend hin ständig an und um ca. 15:00 fordern wir bei Wien-Information die Freigabe für den Einflug in die Kontrollzone an. Kurz danach bekommen wir die Freigabe für 6000ft und später auch für 8000ft. Das Funken mit Wien-Information ist problemlos und die Controller sind immer recht freundlich zu uns. Obwohl außer uns noch einige andere Segelflugzeuge (ich hoffe dass es keine Stockerauer waren) innerhalb der Kontrollzone fliegen, sind wir die einzigen, die mit Wien-Information Kontakt haben. Wie bekommen nur einmal die Freigabe auf 7000ft nicht sofort, da uns kurz danach ein Regional-Jet oder so was ähnliches in relativ geringer Höhe überfliegt. Ich kann daher nur jedem Segelflieger raten, innerhalb der Kontrollzone auf Wien-Information zu schalten. Die Damen und Herren Controller verstehen auch Deutsch und sind nicht gleich bitterböse wenn man nicht ganz vorschriftgemäß funkt (sie können es nämlich selbst nicht immer). Es ist aber doch lästig, dass man alle 5 bis 10 Minuten nach Höhe und Position gefragt wird (vielleicht sollten wir doch Transponder in unsere Segelflugzeuge einbauen). Es erleichtert das Fliegen sehr, wenn im Doppelsitzer der nicht fliegende Pilot das Funken übernimmt.
Zum Abend hin wird das Fliegen immer einfacher, da wir fast nur mehr zwischen 1200 und 2000m über Grund unterwegs sind. Die Aufwinde sind unter den dicken, grauen Wolken relativ einfach zu finden und wir können auch mehrmals unter Wolkenstraßen im Geradeausflug noch recht gut steigen. Wir fliegen auch immer weiter weg vom Platz und könnten trotzdem immer noch den Flugplatz im Gleitflug erreichen. Unsere größte Sorge ist, dass eines unserer Handys läutet, da wir beide an diesem Tag Bereitschaft haben. An dieser Stelle bedanken wir uns herzlich bei der Bevölkerung von Stockerau und bei meinen Arbeitskollegen, dass wir unseren Flug nicht vorzeitig abbrechen mussten. Zwischen 17:00 und 18:00 erreichen wir die besten Steigwerte (bis 5m/s) und die größte Flughöhe (8000ft).
Obwohl das Fliegen selbst immer einfacher wird, merke ich doch, dass der lange Flug an der Substanz zehrt. Es ist mittlerweile saukalt im Flieger, da wir fast ständig über der Nullgradgrenze und im Schatten der Wolken fliegen. Das T-Shirt ist natürlich auch nicht die geeignete Kleidung für diese Höhe (Christian ist sogar nur mit kurzer Hose unterwegs). Der ganze Körper ist steif und verspannt von der Kälte und der mangelnden Bewegungsfreiheit im Flieger und wir fürchten schon, dass wir nach der Landung aus dem Flugzeug gehoben werden müssen. Die Sitzposition ist auch nicht mehr ganz so bequem wie noch nach 4 Stunden. Die Konzentration läßt merklich nach (nicht so sehr beim Fliegen, sondern besonders beim Funken während Christian fliegt) und die Blase meldet sich auch schon seit einiger Zeit. Trotzdem ist es immer noch unser Ziel, an diesem Tag keine einzige Flugminute zu verschenken.
Als gegen 18:00 die Thermik einschläft und die Cumuluswolken sich auflösen, sind wir immer noch in 7-8000ft. Der über 40 Minuten langen Sinkflug in der absolut ruhigen Luft wäre Genuss pur, wenn es nur etwas wärmer wäre. Wir fliegen aber immerhin nicht mehr im Schatten und die Abendsonne taut uns etwas auf. Der Wind ist uns auch noch gnädig und dreht kurz vor der Landung genau in die Pistenrichtung für die 07. Letzte Konzentration für die Landung – Fahrwerk nicht vergessen – und um 18:58 lokal setzt der Twin-Astir nach 7 Stunden und 3 Minuten butterweich auf der 07 wieder auf. Ich bin selbst erstaunt, wie gut mir nach diesem langen Flug die Landung gelungen ist.
Das Aussteigen nach 7 ½ Stunden (wir haben vor dem Start sicher eine halbe Stunde im Flieger gewartet) ist zwar mühsam, aber es gelingt uns doch aus eigener Kraft.
Am Boden erfahren wir, dass es Rudi Frenslich doch noch irgendwie nach Deutschland und wieder zurück geschafft hat und Fritz Janach ist aus den Alpen bis zu einem Acker im Tullner Feld gekommen - Applaus für unsere begnadeten Streckenflieger.
Nachdem wir uns endlich etwas wärmeres anziehen können, beginnen wir den Flieger zu waschen und räumen auch die Cockpits wieder auf. Die Flächen- und Rumpfbezüge werden angezogen und alle Flieger werden wieder in den Hangar eingeräumt. Nachdem auch noch die Schleppmaschine im Hangar verstaut ist und die Rückholer mit Fritz Janach zum Flugplatz zurückgekehrt sind, gehen wir alle zum gemütlichen Teil dieses Flugtages über.
Ich möchte mich hier bei allen Segelfliegern und Flugschülern entschuldigen, die an diesem Tag ebenfalls mit dem Twin fliegen wollten, aber so einen Tag darf man einfach nicht auslassen. Aus eigener Erfahrung weiß ich aber auch, dass eine Schulung bei diesem Seitenwind nur das mühsam aufgebaute Selbstvertrauen wieder zerstört und ich wünsche allen, dass auch sie einmal einen ähnlichen Flug erleben können.
Geschrieben von: Josef Reithofer